Theater M21 ist ein weiteres Mal aufgebrochen, den "German Zeitgeist" zu studieren und dabei im Brennglas der Ironie das Individualschicksal zweier Bildungsbürgerkinder zu betrachten. Betrachtet wird zugleich durch deren suchende Journalistenautoren-Augen unser behütetes, fruchtloses "Heine-Land" - frei nach der Wahrheit, dass die Frage die Antwort, der Moderator den Interviewten bestimmt.
Ein Mann und eine Frau, Katja und Moritz, sind Schreiberlinge, Weltbeobachter und Selbstversorger - bis auf Weiteres, mit dem immer zu rechnen ist: Alg II etwa oder das Infragestellen des Glaubens an das gute, selbstbestimmte Leben. Ganz eigentlich jenseits von Gut und Böse, nämlich mitten im Zentrum der diffusen Abstiegsangst, machen Kunstschaffende und süddeutsche Meinungsmacher aus Berlin ein Fragezeichen vor alles, was uns lieb und teuer ist in unserer unrenovierten Wintergartenseele, das Lamacun vom Türken oder den Boxhandschuh in der einen, das selbst eingekochte Marmeladenglas in der anderen Hand.
DEUTSCHLAND - EIN WINTERGARTEN ist eine bescheidene Bestandsaufnahme prekären, typisch deutschen Lebens zwischen Hungerlohn, Hartz-IV und "Humankapital". Leicht und schwer ironisch.
Deutschland – Ein Wintergarten spielt auf engem Raum. Das ehemalige Ladenlokal bietet wenig Platz für Kulisse. Ein paar Blumentöpfe, ein Schreibtisch, ein Gewächshaus, ein Boxsack, das war’s auch schon. Aber damit begnügt sich das Stück nicht. Wenn’s zu eng wird, huschen die Schauspieler schnell über die Straße und den Hof zur Hintertür wieder herein. Und auch einige Videosequenzen werden effektvoll eingespielt. Unter anderem vom Grill der zu Beginn den beißenden Gestank des Anzünders verströmt. Am Ende der wirklich gelungenen, unterhaltsamen, Aufführung riecht es besser. Die Kohle glüht, Joachim von Burchard spendiert eine Runde Würstchen und das Premierenpublikum jede Menge Applaus.
Göttinger Tageblatt 22.08.2011